Endlich Schluss mit der grössten Ungerechtigkeit im Zürcher Bildungssystem!

Erklärung der SP-Kantonsratsfraktion
Verlesen an der Kantonsratssitzung vom 16. Mai 2022

Am Samstag hat der Chef des Mittelschul- und Berufsbildungsamtes gegenüber der NZZ Stellung genommen zu den Resultaten der diesjährigen Gymi-Aufnahmeprüfungen. Er hat die Arbeit der Volksschule während der Coronakrise auf dem Hintergrund der Ergebnisse ausdrücklich gelobt. Diesem Lob schliessen wir uns gerne an.

 

Viel kritischer beurteilen wir dagegen die Gesamtergebnisse der zentralen Aufnahmeprüfung. Sie sind kein Beitrag zur Chancengerechtigkeit – im Gegenteil: Die Kinder absolvieren zwar alle die gleiche Prüfung, diese wird auch korrekt durchgeführt und professionell bewertet. Höchst ungerecht ist aber, dass nach wie vor Hunderte von Geprüften während Monaten mit teurem privaten Zusatzunterricht auf die Prüfung vorbereitet werden. Andere, vor allem praktisch alle Schüler:innen, die nicht von einem der beiden Seeufer stammen, müssen sich mit den oft rudimentären Vorbereitungen begnügen, die ihnen die Volksschule neben ihrer vielfältigen andern Aufgaben vermitteln kann und will.

 

Das ist kein Vorwurf an die Primar- oder die Sekundarschule. Es ist aber ein krasses Versagen der Bildungsdirektion: Nach wie vor fehlen verbindliche Vorgaben an die Volksschule zur gezielten Vorbereitung der Begabten und Willigen. Das mit deutlicher Mehrheit überwiesene Postulat Chagall for all – Chancengerechtigkeit durch Arbeit an der Lernlaufbahn dümpelt in der Bildungsdirektion seit Jahren vor sich hin. Noch schlimmer: Für nächstes Jahr sind Änderungen an der Zentralen Aufnahmeprüfung geplant. Die Abschaffung der mündlichen Prüfung wird mit Sicherheit die Prüfung nicht gerechter machen, sondern noch unfairer.

 

Namhafte Bildungsforscherinnen wie die ETH-Professorin Elsbeth Stern oder die Fribourger Professorin Margrit Stamm kritisieren in jüngsten Stellungnahmen das Zürcher Aufnahmesystem scharf. Margrit Stamm kommt zum Schluss, dass sich die Bildungschancen der Kinder aus einfachen Verhältnissen in den letzten Jahren nicht verbessert haben. «Im Gegenteil, die Chancenungleichheit ist sogar noch grösser geworden. Der Schulerfolg ist noch stärker als früher von der Herkunft abhängig.» Nach Elsbeth Stern gehören mindestens 30% der aktuellen Mittelschüler intelligenzmässig nicht ans Gymnasium. Kommerzielle Kurse zur Unterstützung sollten deshalb keine mehr durchgeführt werden. «Dafür sollten alle Kinder mit guten Leistungen in der Primarschule die Gelegenheit erhalten, mit dafür ausgebildeten Lehrpersonen für die Gymiprüfung zu lernen.»

 

Die Bildungsdirektion dagegen hält eisern an der ewiggestrigen Zürcher Lösung fest. Dabei wissen wir es seit langem: Es gibt Aufnahmeverfahren, die viel besser geeignet sind, die richtigen Schüler:innen fürs Gymnasium auszuwählen. Viele Kantone machen beste Erfahrungen mit Empfehlungen und Leistungsbeurteilungen der abgebenden Schulen oder mit Wiedererwägungsprüfungen.

 

Wir fordern die Bildungsdirektion auf, endlich zu handeln. Es ist unerträglich, dass die Gymi-Aufnahmeprüfung im Kanton Zürich Jahr für Jahr zum Symbol der grössten Ungerechtigkeit wird, die unser an sich faires Bildungssystem negativ belastet.